Hallo Barbara Diehl!

Was macht ein entrepreneurship educator? Was ist das Disruptive am Frauenwahlrecht. Und überhaupt: Wie übersetzt man wissenschaftliche Innovation in Geschäftsmodelle?
Erzählen Sie doch mal.

WAS MACHEN SIE PROFESSIONELL SO DEN GANZEN TAG? IN WELCHEM FELD/IN WELCHER DISZIPLIN GENAU ARBEITEN SIE?

Tja, das ist eine gute Frage ... (grinst). Wie sagt man so schön im Englischen: "I am still in the process of finding out what I want to become when I finally grow up." Ich würde mein Wirkungsfeld so beschreiben: Leute miteinander in Kontakt zu bringen, zu motivieren und zu befähigen, neue Dinge in ihrem Leben auszuprobieren und sich dadurch professionell und persönlich weiterzuentwickeln. Einen Großteil meiner bisherigen Karriere habe ich im Bereich "Entrepreneurship education" zugebracht und wenn man mich morgens früh um drei aus dem Schlaf holen würde, um zu fragen: "Was bist du?", wäre das wohl meine Antwort "I am an entrepreneurship educator!".

WIE KAM ES DAZU, DASS SIE SICH AUSGERECHNET FÜR DIESES FELD/DIESE DISZIPLIN SO INTERESSIERTEN? WANN FING DAS AN? WIE GING ES WEITER?

Ich würde mich als "bunten Hund" bezeichnen. Es gibt ein Zitat von Albert Einstein, das besagt: "I am neither especially clever, nor especially gifted ... I am just very, very curious." Ich habe mich eigentlich immer von der Neugier antreiben lassen und von der Vorstellung, dass ich meine berufliche Entwicklung mit interessanten Menschen verbringen wollte. Wenn ich vor 350 Jahren geboren worden wäre – und natürlich in den entsprechenden gehobenen Kreisen verkehrt hätte – hätte ich sicherlich einen Salon gegründet. Viele von diesen wurden tatsächlich von Frauen initiiert und geleitet, darunter Catherine de Vivonne und Madeleine de Scudery. Dort kamen Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen, Literatur, Wissenschaft und Kunst zusammen und diskutierten neue Ideen. Die Salons gehörten zum intellektuellen Fundament der Aufklärung und der Moderne.

Sich mit Innovation zu befassen liegt davon eigentlich gedanklich gar nicht so weit weg. Auch hier sind wir darauf angewiesen, dass man neue Ideen entwickelt, Traditionen hinterfragt und etablierte disziplinarische Grenzen überwindet. Das bringt eine besondere Gruppe von Menschen zusammen, die in der Regel neugierig und offen für Neues sind.

Allerdings finde ich auch, dass – beispielsweise im Vergleich zur Anglosphäre – Innovation in Deutschland immer noch zu sehr als etwas gesehen wird, was technischer Natur und sich vornehmlich in ökonomischer Wertschöpfung manifestieren muss. Das hat Auswirkungen auf den Diskurs über Innovation, der für meinen Geschmack hierzulande zu sehr technisch-ökonomisch geprägt ist. Im angelsächsischen Raum ist der Diskurs hier sehr viel bunter. Da findet man auch Designer, Architekten, Psychologen und Sozialanthropologen, welche sich häufig mit dem "menschlichen Faktor" im Innovationsgeschehen auseinandersetzen, also den Motivationen, Ängsten und Emotionen, welche die Begegnung mit Neuem oder die Verbundenheit mit Altem und Bekanntem begleiteten.
Barbara Diehl
Barbara Diehl
WELCHE KARRIERE-STEINE LAGEN IHNEN IM WEG UND WIE HABEN SIE DIE WEGGERÄUMT?

Also, ich kann eigentlich nicht sagen, dass mir per se Steine im Weg lagen. Wenn es mir irgendwo nicht gefallen hat oder mir etwas Interessanteres begegnet ist, dann hatte ich bisher immer die Freiheit und das Privileg, wechseln zu können. Diese Flexibilität ist allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass ich keine Kinder habe. Das bedauere ich aber keineswegs. Ich bin mir nur der Tatsache bewusst, dass eine solche Flexibilität mit Kindern sicherlich nicht in diesem Maße möglich gewesen wäre.

EMPFANDEN SIE IHR GESCHLECHT FÜR IHRE KARRIERE ALS VORTEIL, NACHTEIL ODER NEUTRAL?

Eigentlich neutral. Natürlich bedrückt es mich, dass man im Innovationsgeschehen so wenige Frauen findet und ich muss zugeben, auch bei mir sind bisweilen die meisten Assoziationen im Hinblick auf "wen setze ich wo auf ein Panel?" mit Männern verknüpft. Das ist in Deutschland noch sehr viel ausgeprägter als beispielsweise im angelsächsischen Raum, wo es meines Erachtens nach eine höhere Sensibilität für Diversität gibt.

WAS TREIBT SIE AN UND WEITER? (WAS SORGT FÜR IHRE VERTIKALSPANNUNG?)

Dinge, die mich zum Lachen oder Schmunzeln bringen. Damit meine ich nicht unbedingt Katzenvideos auf YouTube, vielmehr Inhalte, die neue Dinge beschreiben, aber sich auch ein wenig selbstironisch hinterfragen. Ich habe einen ziemlich schwarzen Humor!

WELCHE SPRUNGINNOVATION HAT SIE AM MEISTEN BEEINDRUCKT?

Also, in einem vorherigen Leben habe ich mich ja einmal sehr eingehend mit Medizin- und Wissenschaftsgeschichte auseinandergesetzt. Daher muss ich hier den Begriff der "Sprunginnovation" eventuell ein wenig anpieksen. Innovation ist häufig im Auge des Betrachters. Was für den einen bzw. die eine hochinnovativ ist, ist für andere "inkrementell" oder "Schnee von gestern". Zudem kommt hinzu, dass man echte Innovationen häufig nur im Rückblick erkennt und diese ihr Potential bisweilen über einen sehr langen Zeitraum entfalten. Ich glaube, es gibt ein Zitat von Bill Gates, in dem er sagt: "People often overestimate the change that is going to happen in two years and underestimate the change that is happening over 10 years."

Ich bin jemand, der sehr gerne mit Assoziationen arbeitet und das Wort "disruptiv" suggeriert häufig, als ob man heute ins Bett geht und die Welt beim Aufwachen eine andere ist. Die einen werden davon angefixt, die anderen finden das unheimlich. Dem muss in diesem Diskurs Rechnung getragen werden. Wenn ich meine Studenten zu Beginn von Lehrveranstaltungen gefragt habe, was ihre Lieblingsinnovation ist, dann hatten neun von zehn Beispielen meistens irgendetwas mit Technologie zu tun. Das heißt, Innovation ist im Kopf sehr eng damit verknüpft. Wenn ich sie dann gefragt habe, warum sie nicht an solche Dinge wie das Frauenwahlrecht oder Anti-Diskrimierungsgesetzgebung oder Mikrokredite mit dem Begriff Innovation assoziieren, gab es häufig ein wenig Verwunderung, aber auch gute Diskussionen.

Will sagen, meiner Ansicht nach denken wir häufig in puncto Innovation sehr eindimensional an Technologie, was bisweilen dazu führt, dass komplexe Probleme auf einen "technology fix" reduziert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Corona-WarnApp. Da gab es völlig überzogene Erwartungen an eine technologische Lösung zur Eindämmung der Epidemie, ohne dabei das soziokulturelle Umfeld und die Rahmenbedingungen, in welche die App eingebettet ist, zu kennen und zu verstehen.

Um eine echte Sprunginnovation hervorzubringen, bedarf es vieler Zutaten, Technologie ist nur eine davon. Es muss ein Wille zur Veränderung und zur Problemlösung da sein. Hinzu kommen Begeisterung, ein Bewusstsein dafür, dass es viele Lösungsmöglichkeiten gibt, die man testen und ausprobieren muss. Daneben bedarf es unterschiedlicher Kompetenzen und Fähigkeiten in einem Team, Agilität und iterative Entwicklung im Prozess und – last but not least – ein Umfeld, in dem eine solche Herangehensweise positiv bewertet wird.
WIE SEHEN SIE DIE INNOVATIONSKULTUR UND -LANDSCHAFT IN DEUTSCHLAND (UND IN EUROPA)? WAS LÄUFT GUT? WAS LÄUFT NICHT? WAS BRAUCHEN WIR IN DEUTSCHLAND, UM MEHR ERFOLGREICHE INNOVATIONEN HERVORZUBRINGEN?

Vielleich kann man es zu einem gewissen Grad eine "deformation professionelle" nennen, aber wenn man sich – wie ich – jetzt schon seit über 12 Jahren im Bereich Entrepreneurship, Venture Creation & Innovation bewegt, dann kommt man nicht umhin, sich von der "can do" und dem positiven "let's fix that problem" Einstellung anstecken zu lassen.

Mit Studium und Beruf war ich insgesamt 12 Jahre in der Anglosphäre unterwegs und ich muss sagen, das hat viel dazu beigetragen, meinen deutschen Hang zu Skeptizismus und bisweilen Zynismus zu relativieren. Wenn man den ganzen Tag von Leuten umgeben ist, die die Welt mit ihren Ideen verändern wollen, kommt man nicht umhin, sich von diesem positiven Enthusiasmus anstecken zu lassen.

Deutschland ist ein "das Glas ist immer halb leer" Land. Wir jammern zu häufig auf einem absurd hohen Niveau. Im "Global Happiness Report" standen wir 2019 auf Platz 17! Weshalb? Meine Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Studenten, jung und alt, und in Lehrveranstaltungen ist häufig, dass viele Barrieren häufig nur im Kopf existieren und diese dazu führen, sich selbst in seiner persönlichen und beruflichen Entfaltung zu beschränken. Da gibt es häufig Erwartungshaltungen, Normen oder Verhaltensmuster, die einer bzw. einem signalisieren "Warum sollte ausgerechnet ich das schaffen?" anstatt zu sagen "Warum sollte ich das NICHT schaffen?" Ersteres bringt häufig eine "play it safe" Einstellung mit sich, während man eigentlich anders herum fragen sollte: "What have I got to lose if I try?"

Als Entrepreneurship Educator ist man in dieser Beziehung häufig eine Mischung aus Motivator, Coach und Kummerkasten. Aber auch ein Quäntchen Selbstironie gehört häufig dazu. Ich habe gelernt, dass die Probleme häufig durch Humor, Witz und Ironie ein wenig verdaulicher werden.

WO/IN WELCHEM SEKTOR/FELD/BEREICH FEHLT ES BESONDERS AN INNOVATIONEN?

Also, ehrlich gesagt wundert es mich immer wieder, wie wenig wir hierzulande dem demographischen Wandel und der alternden Bevölkerung Rechnung tragen. Das ist eine langsame, aber ziemlich gnadenlos tickende Zeitbombe. Es ist meines Erachtens nach erstaunlich, wie wenig wir darauf vorbereitet sind, dass in absehbarer Zeit, also 2030, auf 100 Arbeitnehmer 67 Rentner kommen werden. In 2050 werden es 77 Rentner pro 100 Arbeitnehmer sein. Das hat tiefgreifende Konsequenzen für die soziale und politische Kohäsion, von den Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft ganz zu schweigen. So hat uns die Corona-Krise ja schon einen Vorgeschmack darauf gegeben, wenn "alt" gegen "jung" im Diskurs um die Ausbreitung der Krankheit gegeneinander ausgespielt werden.
Barbara Diehl
Barbara Diehl
IST ES WICHTIG, WISSENSCHAFTLERINNEN UND INNOVATORINNEN ANDERS UND STÄRKER ZU UNTERSTÜTZEN? HABEN SIE IDEEN DAZU?

Lange Zeit war ich eine entschiedene Gegnerin von Quoten, aber sich nur auf den Wandel der Zeiten und die Selbstregulierung zu verlassen hat offensichtlich nicht viel gebracht. Daher hat sich meine Einstellung dazu geändert. Natürlich wird durch die Einführung von Quoten nur an den Symptomen herumgedoktert, aber als Signalwirkung an sich finde ich es mittlerweile gut, sich hier klare Ziele und Vorgaben zu geben.

Es ist schon ein wenig deprimierend, wie wenige Frauen – vor allem in höheren und gehobenen Positionen – sich im Innovationsumfeld so tummeln, vor allem in Deutschland. Innovation hierzulande ist immer noch zu alpha und zu sehr auf technisch-ökonomische Wertschöpfung ausgerichtet. Soziale, kulturelle und gesellschaftliche Wertschöpfung sind hierzulande – meiner Meinung nach – noch zu unterrepräsentiert im Innovationsdiskurs. Das sind jedoch Gebiete, auf denen man sehr viele tolle und positive Beispiele für 'female empowered innovation' findet.

WELCHE SPRUNGINNOVATION WOLLEN SIE UNBEDINGT VERWIRKLICHT SEHEN? / WELCHES GROßE PROBLEM WÜRDEN SIE GERNE LÖSEN?

Also, ehrlich gesagt ... Ich finde das ganze Thema um "urban mining" und die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Elektroschrott, Handys und Batterien sehr dringlich. Wir machen uns einfach oftmals nicht klar, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen für Menschen und Umwelt diese Rohstoffe abgebaut werden, die dann in den Batterien und Akkus landen, von denen unsere Gesellschaft heutzutage so abhängig ist. Auch das Thema "grünes Internet" finde ich spannend. Schließlich sind wir es mittlerweile so gewohnt, überall und zu jederzeit online zu sein, dass wir uns gar keine Gedanken mehr darüber machen, wie viel Energie das verschlingt. Nicht umsonst bauen Technologiekonzerne wie Facebook ihre Datenzentren in der Nähe des Polarkreises.
BARBARA DIEHL ist eine ausgewiesene Expertin für Entrepreneurship, Innovation und Education und betreut seit dem 1. Dezember 2020 bei SPRIND die Partnerschaften mit Wissenschaft und Wirtschaft.

Vor ihrem Wechsel zu SPRIND war sie 10 Jahre erfolgreich in Großbritannien und Irland tätig: am Entrepreneurship Centre (2008-2015) der Universität Oxford und der Innovation Academy am University College Dublin (UCD) (2015-2018). In Oxford leitete sie u. a. Frühphasen-Investitionsprogramme und ein Executive Education Programm für schnell wachsende Kleinunternehmen (Goldman Sachs 10,000 Small Businesses-Growth Programme). Außerdem war sie Mitglied in Investitionsausschüssen verschiedener Seed-Investmentfonds. Zurück in Deutschland war sie von 2018-2020 Bereichsleiterin für Transfer und Innovation in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Barbara Diehls besondere Stärke: Sie kann Lernenden das Selbstvertrauen geben, ihre kreativen und unternehmerischen Fähigkeiten zu entwickeln und auszuprobieren.