Wenn Forschende aus einer Universität, einem Institut oder einer Forschungseinrichtung ausgründen wollen, ist das nicht immer einfach. Denn die Schutzrechte, auf denen das Start-up basiert, gehören in der Regel der Einrichtung und nicht dem Gründerteam. Wie kann der Transfer des geistigen Eigentums – des Intellectual Property
– von der Universität zum Gründerteam erfolgreich gestaltet werden? Wie SPRIND sowohl Gründerteams als auch Einrichtungen unterstützen will, erklärt Barbara Diehl, die bei SPRIND die Initiative IP-Transfer 3.0
leitet, im Interview.
WARUM IST DER IP-TRANSFER, ALSO DIE ÜBERTRAGUNG DER SCHUTZRECHTE AUF DAS GRÜNDERTEAM, BISHER OFT PROBLEMATISCH?
BARBARA DIEHL: Bisher ist es gängige Praxis, dass eine Einrichtung, wenn sie Schutzrechte in eine Ausgründung überträgt, ein Lizenzmodell wählt. Das bedeutet, die Einrichtung sagt zu dem Start-up: Du kannst das Schutzrecht nutzen und erhältst eine Lizenz, aber dafür sind Lizenzzahlungen fällig.
Diese Lizenzzahlungen und die damit verbundenen Zahlungsströme stellen für das Start-up häufig ein Problem dar. Denn zu diesem Zeitpunkt hat das Unternehmen noch keine Einnahmen. Jeder Geldabfluss ist in dieser frühen Phase Gift für das junge Unternehmen.
WIE KÖNNTE EINE LÖSUNG FÜR DIESES PROBLEM AUSSEHEN?
BD: Statt eines Lizenzmodells könnte die Einrichtung auch Anteile an den Ausgründungen nehmen. Gesellschaftsanteile sind jedoch mit sehr vielen Verpflichtungen verbunden. Dieses Modell kommt daher meist nicht infrage, da die Hochschulen oft weder personal- noch Know-how-technisch darauf ausgerichtet sind, solche Gesellschafterverantwortlichkeiten professionell wahrzunehmen. Ein spannender Lösungsansatz sind virtuelle Anteile. Virtuelle Anteile sind im Wesentlichen normale Gesellschaftsanteile mit der Besonderheit, dass sie kein Stimmrecht enthalten. Sie müssen auch – anders als stille Beteiligungen – nicht notariell ein getragen sein. Bei einem Verkauf des Unternehmens bekommt die Einrichtung – wie jeder andere Gesellschafter – gemäß ihrem prozentualen Anteil eine entsprechende Auszahlung. Theoretisch ist auch ein früherer Verkauf der virtuellen Anteile möglich, wenn dies vorab vertraglich festgehalten wurde
WELCHE VORTEILE HABEN DIE VIRTUELLEN ANTEILE FÜR DAS GRÜNDERTEAM?
BD: Dass die Lizenzzahlungen entfallen, ist natürlich ein großer Vorteil, aber es gibt noch weitere: Bei einem Lizenzmodell verbleiben die Schutzrechte bei der Universität. Virtuelle Anteile werden hingegen – idealerweise – im Tausch gegen eine komplette Übertragung der Schutzrechte vergeben. Das gibt dem Gründerteam und den Investoren Sicherheit. Und auch die Beziehung zwischen den Innovatoren und der Universität verändert sich. Die Universität geht gemeinsam mit dem Gründerteam und allen übrigen Investoren ins Risiko. Alle sitzen im selben Boot.
ABER VERSCHLECHTERN VIRTUELLE ANTEILE NICHT DIE SITUATION DER HOCHSCHULEN? DURCH LIZENZZAHLUNGEN BEKOMMEN SIE KONTINUIERLICH GELD, DURCH VIRTUELLE ANTEILE ERST IRGENDWANN IN DER ZUKUNFT.
BD: Ist das Start-up erfolgreich, steigt der Wert des Unternehmens und damit auch der Wert der virtuellen Anteile der Hochschule. Für die Hochschulen kann es daher finanziell sehr attraktiv sein, das Unternehmen nicht von Anfang an zu schröpfen, sondern sich am Risiko zu beteiligen.
WIE SCHAFFT MAN ES, DASS SICH GRÜNDERTEAM UND HOCHSCHULE AUF DIE HÖHE DER VIRTUELLEN ANTEILE EINIGEN?
BD: Bevor über die Höhe der Beteiligung verhandelt werden kann, muss zunächst der Wert des IP bewertet werden. Die Kernfrage lautet: Wie wichtig und zentral sind die Schutzrechte für das Geschäftsmodell und den Erfolg des Unternehmens? Um diese Frage zu beantworten, haben wir ein Tool entwickelt, das so wohl das Gründerteam als auch die Institution bei der IPBewertung unterstützen kann. Dieses Tool heißt IP-Scorecard
und kann helfen, die Bewertung zu vereinfachen und zu objektivieren. Zusätzlich haben wir im Rahmen des Projektes ein IP-Wahl-O-Meter
entwickelt. Das ist im Grunde ein Fragebogen, den das Gründerteam und idealerweise auch die Transferstelle der Universität ausfüllen, um ein besseres Verständnis zu bekommen, wie die IP-Situation ist. Idealerweise sollte das Ergebnis des IPWahl-O-Meters einen Hinweis geben, welches Transfermodell für das jeweilige Szenario am besten geeignet sein könnte.
WIE GEHT ES DANN WEITER?
BD: Dann kommt die schon erwähnte IP-Scorecard zum Einsatz. Beide Partei en setzen sich zusammen und bewerten eine Reihe von Faktoren. Das Ergebnis ist eine Zahl zwischen 1 und 10. Eine 10 bedeutet, dass das IP essentiell für das Geschäftsmodell und damit für den Erfolg der Ausgründung ist. Eine 10 ist zum Beispiel im Bereich Pharma wahrscheinlich, wenn an einer Universität ein Wirkstoffkandidat entdeckt wurde und das Gründerteam nun ein entsprechendes Medikament entwickeln und vermarkten will.
WIE HOCH KÖNNTEN IN DIESEM SZENARIO DIE VIRTUELLEN ANTEILE SEIN?
BD: Letztendlich ist und bleibt dies eine Verhandlungssache zwischen dem Gründerteam und der Institution. Wir haben aber eine Umfrage in der Investment Community gemacht, weil uns diese Frage auch interessiert hat. Dabei kam heraus, dass die maximale Beteiligung, die eine Institution realistischerweise aushandeln kann, bei zehn Prozent liegt.
WIE GUT FUNKTIONIERT DAS PRINZIP DER DIGITALEN ANTEILE UND DER SPRIND-TOOLS BISLANG?
BD: Das testen wir zurzeit: Wir haben eine Pilotgruppe, bestehend aus 17 Einrichtungen aus Deutschland. Dazu zählen Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsverbünde sowie außeruniversitäre Einrichtungen. Die Idee, virtuelle Anteile gegen Schutzrechte zu tauschen, ist ursprünglich an der TU Darmstadt entstanden. Wir haben diese Idee aufgegriffen und wollen mit unseren Tools den IP-Transfer unterstützen. Bislang ist die Resonanz positiv, die Diskussion über die Schutzrechte wird versachlicht und das verbessert die Beziehungen zwischen den Gründerteams und den Einrichtungen sehr.
WELCHES ZIEL VERFOLGT SPRIND BEIM IP-TRANSFER?
BD: Unser Anliegen ist in erster Linie mehr Transparenz. Die Transferstellen können nach außen wie ein Machtmonopol wirken. Die Gründerteams verhandeln meistens zum ersten Mal in ihrem Leben über Schutzrechte und eine Ausgründung. Für viele Gründer und Gründe rinnen ist der ganze Prozess eine Blackbox. Das wollen wir ändern. Neben dem IP-Wahl-O-Meter und der IP-Scorecard stellen wir daher auch Musterverträge zur Verfügung. Die meisten Einrichtungen haben bereits Standardverträge, aber die Musterverträge können dem Gründerteam schon einen ersten Eindruck geben, was in etwa auf sie zukommen wird. Dadurch wird es den Gründerteams ermöglicht, mit der Transferstelle auf Augenhöhe zu verhandeln. Unser eigenes Selbstverständnis ist, dass wir in der Diskussion um die Verbesserung und Vereinfachung des IP-Transfers als Treiber, aber auch als Broker unterstützen.
WAS BEDEUTET DAS?
BD: Wir sind Treiber in dem Sinne, dass wir die Institutionen antreiben, ihre eigenen Prozesse und Modelle kritisch zu hinterfragen und neue Ansätze auszuprobieren. Gleichzeitig fungieren wir als Broker, also als Vermittler, zwischen den Einrichtungen und der Politik. Die Politik fordert von den Hochschulen mehr Transferaktivitäten, während die Hoch schulen aufgrund unzureichender Finanzierung gezwungen sind, kurzfristige Einnahmen zu erzielen. Wir fördern den Politikdialog, um alle Beteiligten – Politik und Hochschulleitungen – an einen Tisch zu bringen. Wir treiben die Universitäten an, werfen uns aber auch schützend vor sie, um gemeinsam mehr Nachhaltigkeit zu ermöglichen.
Alle Infos zum IP-Transfer 3.0, dem Pilotprogramm der SPRIND, des Stifterverbandes und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, sind auf der Projektseite zu finden.