17.12.2025

EUROPAS DIGITALE IDENTITÄT GESTALTEN

Im Interview: Arne Petersen und Christian Zöllner über die besondere Zusammenarbeit von SPRIND und der Kunsthochschule Burg Giebichenstein

Wie verändert sich unsere Identität in einer Welt, die zunehmend von Künstlicher Intelligenz geprägt ist? Und welche Rolle spielt Gestaltung, wenn es darum geht, Vertrauen, Technologie und gesellschaftliche Verantwortung neu auszubalancieren?

In einer besonderen Kooperation erforschen die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und Studierende der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, wie digitale Identität in Zukunft gestaltet werden kann.

Arne Petersen, Head of Design im EUDI-Wallet-Projekt der SPRIND, und Prof. Christian Zöllner, Professor für Industrial Design und Gestaltung in digitalen Kontexten, sprechen im Interview darüber, warum die EUDI-Wallet weit mehr ist als eine App, weshalb spekulatives Design ein wichtiger Kompass für die kommenden Jahrzehnte ist – und wie radikale Zusammenarbeit helfen kann, die digitale Zukunft Europas verantwortungsvoll zu gestalten.

Christian Zöllner (l.) und Arne Petersen
Christian Zöllner (Burg Giebichenstein, l.) und Arne Petersen (SPRIND)

DIE EUDI-WALLET SOLL LANGFRISTIG EINE VERTRAUENSWÜRDIGE PLATTFORM FÜR DIGITALE IDENTITÄT WERDEN. WARUM LOHNT ES SICH, SCHON HEUTE DIE TECHNOLOGISCHE ZUKUNFT MITZUDENKEN?

Arne Petersen: Wir leben in einer Zeit, in der sich Technologie rasant verändert. Wenn wir heute ein Produkt wie die EUDI-Wallet entwickeln, müssen wir sicherstellen, dass es auch in zehn oder 20 Jahren noch relevant bleibt. Das bedeutet: Wir dürfen die Wallet nicht nur als App verstehen, sondern als Grundlage einer neuen digitalen Infrastruktur. Unser Ziel ist es, den Bürger:innen ihre Datensouveränität zurückzugeben. Heute sind Daten der Rohstoff großer Tech-Plattformen – wir geben sie preis, andere verdienen damit Geld. Mit der EUDI-Wallet wollen wir dieses Prinzip umkehren. Die Wallet steht für einen europäischen Ansatz, der auf Transparenz, Offenheit und Selbstbestimmung setzt.

Christian Zöllner: Langfristige Perspektiven entstehen, wenn wir uns nicht nur die nächsten fünf oder zehn Jahre vorstellen, sondern überlegen, wie die Welt in 30 Jahren aussehen könnte. Im Design nutzen wir dafür die Backcasting-Methode: Wir entwerfen ein Zukunftsbild und überlegen dann, welche Schritte dorthin geführt haben könnten. Es geht darum, aktuelle Probleme zu lösen und gleichzeitig zukünftige Möglichkeiten mitzudenken. Identität ist zutiefst menschlich, und Vertrauen war immer die Grundlage gesellschaftlichen Zusammenhalts. Deshalb ist es entscheidend, jetzt zu klären, wie wir Vertrauen und Identität im digitalen Zeitalter sichern. Die EUDI-Wallet kann ein Werkzeug sein, das Menschen auch in einer von KI geprägten Welt souveräne Handlungsspielräume bewahrt.

WIE HELFEN DIE SPEKULATIVEN SZENARIEN DER STUDIERENDEN, HERAUSFORDERUNGEN WIE DEEPFAKES ODER SYNTHETISCHE IDENTITÄTEN FRÜHZEITIG ZU ERKENNEN?

CZ: Spekulatives Design ermöglicht es, Zukunft zu denken, ohne sie sofort technisch beweisen zu müssen. Die Studierenden haben drei Szenarien entwickelt: eine fast technikfreie Welt, eine radikal hochtechnisierte Gesellschaft und eine Bio-Tech-Welt, in der Technologie organisch in Zellen eingebettet ist. Diese Szenarien schaffen Räume für Reflexion und Diskussion. Statt funktionaler Produkte entstehen Diskursprototypen – Objekte, die Geschichten erzählen und Debatten anstoßen. Sie helfen, komplexe Entwicklungen greifbarer zu machen. Design kann Fragen visualisieren, die sonst abstrakt bleiben würden.

EUDI Wallet Prototypes

VIELE INNOVATIONEN SCHEITERN DARAN, DASS TECHNOLOGIE UND GESELLSCHAFT ZU SPÄT ZUSAMMENGEDACHT WERDEN. WAS LERNEN WIR AUS DIESER KOOPERATION?

AP: Design wird oft auf Ästhetik reduziert. Dabei geht es ebenso um Verantwortung, Kontext und Haltung. Gerade bei der Wallet ist uns wichtig, technische Innovation und gesellschaftliche Relevanz von Beginn an zusammenzuführen. Die Zusammenarbeit ermöglicht einen Perspektivwechsel. Die Hochschule bringt die Freiheit mit, Dinge neu und mutig zu denken. Wir bringen das Wissen ein, wie man Ideen in die Umsetzung führt. Diese Mischung zeigt, dass Innovation immer auch eine kulturelle Aufgabe ist. Die Konzepte der Studierenden verknüpfen technologische Entwicklungen mit Megathemen wie Klimakrise, Vertrauen und sozialem Zusammenhalt – Denkansätze, die im schnelllebigen Projektalltag hin und wieder etwas kürzer kommen.

WAS GEWINNEN STUDIERENDE UND LEHRENDE AUS DER ZUSAMMENARBEIT MIT SPRIND?

CZ: Als Kunsthochschule arbeiten wir mit künstlerischen Methoden, um gesellschaftliche Fragen zu gestalten. Der Austausch mit einem technologischen Partner ist daher besonders spannend. Er bietet die Möglichkeit, Ideen praktisch zu erproben und weiterzuentwickeln. Wir wollten nicht einfach eine App gestalten, sondern das Thema digitale Identität ganzheitlich betrachten – mit gesellschaftlicher, kultureller und technologischer Perspektive. Die Kooperation zeigt, wie fruchtbar es ist, wenn sich Design und Technologie, und Wissenschaft und Praxis auf Augenhöhe begegnen.

WAS GEWINNEN STUDIERENDE UND LEHRENDE AUS DER ZUSAMMENARBEIT MIT SPRIND?

CZ: Die Studierenden haben Installationen entwickelt, die zeigen, wie Identität in Zukunft erfahrbar sein könnte – etwa durch biotechnologische Symbionten, die Daten auf der Haut speichern, oder durch haptische Holzobjekte, die individuelle Identitätsmuster tragen. Diese Arbeiten sind Denkanstöße. Sie formulieren Fragen und eröffnen Diskussionen, ohne fertige Lösungen liefern zu wollen. Sie inspirieren jedoch und zeigen, welche Möglichkeiten entstehen, wenn Gestaltung und Technologie zusammengedacht werden.

AP: Für uns war das Projekt ein Experimentierraum. Es ging nicht darum, sofort ein Produkt zu entwickeln, sondern Erkenntnisse zu gewinnen. Die Ergebnisse fließen in Teilen in unsere konzeptionelle Arbeit ein und helfen uns, technologische Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren – von KI über Interaktionsformen jenseits des Smartphones bis hin zu neuen gesellschaftlichen Anforderungen.

EUDI Wallet Prototypes

KOOPERATIONEN ZWISCHEN KUNSTHOCHSCHULEN UND INNOVATIONSORGANISATIONEN SIND IN DEUTSCHLAND NOCH SELTEN. WELCHE CHANCEN BIETEN SIE – UND WAS BRAUCHT ES, DAMIT SOLCHE FORMATE SICH ETABLIEREN?

CZ: Keine Institution kann die großen Transformationen unserer Zeit allein bewältigen. Hochschulen sind Orte des freien Experimentierens, unabhängig vom Markt und geprägt von Neugier. Junge Gestalter:innen denken mutig und unkonventionell. Wenn ihre kreative Energie auf die technologische Tiefe von Innovationsinstitutionen wie SPRIND trifft, entsteht Neues: Design wird zur Brücke zwischen Forschung, Technologie und Alltag. Dafür braucht es verlässliche Strukturen und den Mut, frühzeitig und ergebnisoffen zusammenzuarbeiten.

AP: Ich glaube fest an radikale Kollaboration. Wenn mehr Institutionen so zusammenarbeiten würden, könnten völlig neue Formen von Innovationen entstehen. Schon die Arbeitsweise von SPRIND zeigt, dass Kooperation der Schlüssel zur Zukunft ist.

AUF DER FUNKE-KONFERENZ IN BERLIN WURDEN DIE ERGEBNISSE PRÄSENTIERT. WAS SOLLTEN BESUCHER:INNEN MITNEHMEN – UND WIE FIEL DAS FEEDBACK AUS?

CZ: Wir wollten zeigen, dass es bei der Wallet nicht nur um Technologie geht, sondern um das Nachdenken über die Zukunft von Identität – emotional, kulturell und gesellschaftlich.

AP: Das Feedback war überwältigend positiv. Viele fanden es inspirierend zu sehen, wie Studierende mit künstlerischen Mitteln ein so komplexes Thema angehen. Das hat gezeigt, wie wichtig es ist, unterschiedliche Perspektiven zusammenzubringen.

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#97 Torsten Lodderstedt (10.3.2025)

36:22

Was ist EUDI Wallet? Wie macht diese Brieftasche die digitale Identifizierung deutlich einfacher und sicherer? Und kann die deutsche Verwaltung mit ihr einen echten Sprung nach vorn machen? Unser Host Thomas Ramge spricht mit: Dr. Torsten Lodderstedt, Lead Architect des deutschen EUDI Wallet-Projekts bei SPRIND.

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