Recht per Drag and Drop

Mit Rulemapping Bürokratie und juristische Entscheidungsprozesse vereinfachen

Stephan Breidenbach
Till Behnke
Ina Remmers

Niemand wartet gern monatelang auf einen Behördenbescheid. Doch bisher bedeutet eine neue gesetzliche Vorgabe oft: komplizierte Formulare, manuelle Prüfungen und lange Bearbeitungszeiten. Die Rulemapping Group geht einen radikal neuen Weg, um das zu ändern. Ihr Ansatz Law as Code verwandelt Gesetze und Verwaltungsprozesse in ausführbaren Programmcode. Mit anderen Worten: Regeln und Vorschriften werden so präzise als digitale Rulemaps in Handlungszusammenhänge übersetzt, dass Computer sie direkt lesen und anwenden können. Selbst Gesetzesänderungen können per Drag and Drop eingepflegt werden, es kann kollaborativ und vor allem parallel an Verfahren gearbeitet werden – ein unschätzbarer Vorteil, wenn man bedenkt, dass derzeit bis zur Genehmigung eines Windrads im Schnitt vier Jahre vergehen, weil bis zu 24 Fachbehörden nacheinander eine Papierakte bearbeiten, erzählt Till Behnke, einer der Geschäftsführer.

Rulemaps basieren auf einer No-Code-Technologie und können ohne Programmierung konfiguriert und Gesetze wie Regelungen so auf dem neuesten Stand gehalten werden. Um wirklich in der Fläche ihre Wirkung zu entfalten, sollen Rulemaps samt Editor als Open Source zur Verfügung gestellt werden. In der Verwaltung schafft Rulemapping zudem die Grundlage für den sinnvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), weil sie dort unterstützen kann, wo Daten unstrukturiert oder Entscheidungen komplex sind.

Tilo Wend
Matthes Scheinhardt
Dirk Woywood

Die Idee stammt von Stephan Breidenbach, der sich bereits vor 25 Jahren als gerade an die Viadrina in Frankfurt/Oder berufener Juraprofessor nicht länger mit der ellenlangen Recherche und Prüfung im Recht abfinden wollte. Inspiriert durch das Buch Gödel, Escher, Bach von Douglas Hofstadter reizte ihn das Thema Visualisierung – und er machte sich die Veranschaulichung der Subsumtion und den sich daraus erschließenden Kosmos schließlich zur Aufgabe.

Wenn-Dann-Logik: Subsumtion bedeutet, dass eine große Frage, ob beispielsweise im Verwaltungsbereich die Baugenehmigung erteilt werden darf, in Prüfschichten heruntergebrochen wird. Jurist:innen lernen schon im Grundstudium, entlang dieser Prüfschichten zu denken. Um die große Frage zu beantworten, nähern sie sich: Die Baugenehmigung darf nur dann erteilt werden, wenn da, wo gebaut werden soll, keine Zauneidechse oder ein anderes seltenes, besonders schützenswertes Tier wohnt. Das nennt man Tatbestandsmerkmal. Ein großes Regelwerk, an dem man eine Baugenehmigung prüft, besteht aus hunderten, manchmal tausenden Tatbestandsmerkmalen, die einzeln geprüft werden. Die juristische Logik gibt vor, dass sich oftmals ganze Prüfschichten erübrigen, wenn ein Tatbestandsmerkmal nicht gegeben ist. Wenn die Zauneidechse nur dort lebt, darf nicht gebaut werden. Die ganze Prüfung klappt auf Rot. Es gilt jedoch auch, wichtige Ausnahmen zu prüfen, denn wenn es sich um ein gesellschaftlich relevantes Thema wie eine Windkraftanlage handelt, dann darf eventuell doch gebaut werden.

Wie kann man die juristische Prüfung so visualisieren, dass es ein ständiges Wiedererkennen gibt, fragte sich Breidenbach. Er entwarf eine erste Rulemap für seine Studierenden: Schon vor über 20 Jahren war mir klar, dass man daraus viel mehr machen kann, und zwar automatisieren, Zugang zu juristischem Wissen schaffen oder in Gerichts- und Mediationsverfahren Vergleiche herbeiführen.

Die Kraft liegt in der Nachvollziehbarkeit, Transparenz – in einem Bild.

Neben seiner Lehrtätigkeit gründete er ein Unternehmen, weil er keine ausreichenden Möglichkeiten sah, seine Idee an der Uni voranzubringen. Von Anfang an mit an Bord war Tilo Wend, zu Beginn Jurastudent im 3. Semester und dann schnell als Geschäftsführer für die (Weiter-)Entwicklung der Technologie verantwortlich. Über die Jahre gab es immer verschiedene Bereiche, in denen die Rulemap nutzbringend eingesetzt wurde, darunter massenhafte Verfahren wie Toll Collect oder der Dieselskandal, bei dem mithilfe der Software hunderttausende Klagen in kürzester Zeit aufbereitet und eingereicht werden konnten.

Für eine Frage zu einem anderen Projekt wandte sich Breidenbach 2022 auf Empfehlung an Rafael Laguna de la Vera, Gründungsdirektor der SPRIND. Sie plauderten, landeten schließlich beim Thema Sprunginnovation – das Interesse war auf beiden Seiten geweckt. Breidenbach reichte später seine Idee bei der SPRIND ein, eine erste Validierung der Rulemap folgte. Und dann wollte es das Leben, so Breidenbach, dass Till Behnke, mit dem er bereits vor 18 Jahren die gemeinnützige Spendenplattform betterplace.org ins Leben gerufen hatte, gerade Zeit erübrigen konnte. Der Sozialunternehmer, Ina Remmers und Matthes Scheinhardt hatten sich 2023 von der von ihnen gegründeten Nachbarschaftsplattform nebenan.de zurückgezogen und fingen Feuer für Rulemapping. Das Trio schloss sich an, mit Mitgründer Dirk Woywood wurde langjährige operative sowie technologische Expertise ins Boot geholt – und seitdem widmet sich das neue, divers aufgestellte Management-Team ganz den Rulemaps. Alles erfahrene Geschäftsleute, die zwar nach eigener Aussage nicht mehr im Büro campen, dafür aber umso mehr Wissen und Gelassenheit angesichts weltverändernder Visionen mitbringen.

Wir sind dazu gekommen, als es darum ging, das Ganze zu skalieren, und sehr gern dem Ruf des Professors, wie wir ihn liebevoll nennen, gefolgt. Die Integration von KI und die digitale Verfahrensautomatisierung wurden im Herbst 2023 erfunden, was dazu führte, dass ein Sprachmodell und die Rulemap kombiniert werden konnten, erinnert sich Behnke, das war und ist die weltweit einzige Methode, wie man von KI die einzig richtige Antwort erhält, ohne dass sie halluziniert. Die Patentanmeldung läuft.

Woywood, Wend, Remmers, Scheinhardt, Behnke, Breidenbach

Immer heißt es, dass es zu viel Bürokratie gibt und diese geringer werden müsse, aber wir müssen unbedingt das Narrativ ändern. Bürokratie gängelt nicht nur, sie strukturiert unser Zusammenleben, wir brauchen Regulierungen, führt Ina Remmers aus. Die Komplexität wird nicht weggehen, Interessen sind komplizierter geworden. Wir müssen den Staat daher funktionsfähiger machen und innovative Lösungen finden, mit Verwaltungshandeln umzugehen.

Eine Anwendung der Rulemapping Group wurde bereits ausgegründet, um genau das zu tun. Die erste nach Artikel 21 des DSA europaweit zertifizierte Streitbeilegungsstelle für Social Media Plattformen wurde gegründet, um tausende von Beschwerdefällen aus Sozialen Medien zu prüfen, und nutzt die Technologie Ende-zu-Ende. Jurist:innen erhalten KI-gestützt einen Vorschlag, der durch die Rulemap visuell nachvollziehbar und richtig ist. Alle anderen Ansätze, KI im Recht zu nutzen, bleiben eine Blackbox, da sie nicht nachvollziehbar sind, und zudem falsche Vorschläge ausgeben, erklärt Behnke.

Längst geht es nicht nur darum, Bürokratie zu verschlanken oder gar – ein regelmäßiger Vorwurf – Menschen mit KI zu ersetzen. Es geht darum, Werkzeuge zu schaffen, damit der Staat überhaupt handlungsfähig bleibt, Menschen besser arbeiten können und wir nicht auf eine Katastrophe zusteuern. Viele Gerichte sind bereits überlastet, in den nächsten Jahren geht zudem die Babyboomer-Generation scharenweise in Rente, schildert Stephan Breidenbach. Außerdem zeigt sich ganz klar, dass die Politikverdrossenheit vieler Bürger:innen mit den vielen kleinen frustrierenden Erlebnissen als Privatperson zusammenhängt, wenn es etwa um die Beantragung von Dokumenten oder Baugenehmigungen geht.

Einen wichtigen Meilenstein hat die Rulemapping Group mit Sitz in Berlin und aktuell 20 Mitarbeiter:innen zählend im April 2025 erreicht: eine Equity-Finanzierung von zwölf Millionen Euro, an der sich die SPRIND signifikant beteiligt. Das soll helfen, die Technologie so schnell wie möglich in die Breite zu tragen und überall dort zur Verfügung zu stellen, wo massenhafte oder sehr komplizierte Verfahren nötig sind – im öffentlichen Bereich ebenso wie in Unternehmen.

Mehr über die Rulemapping Group: rulemapping.com

Ich wusste immer, dass unser System die Grundlage für eine künftige KI-Integration ist. KI kann immer besser mit strukturierten Daten umgehen und wir haben die Architektur für juristische oder regelbasierte Entscheidungsprozesse. Wir mussten nur ein bisschen warten, bis die KI soweit war, dass sie mit uns arbeiten konnte – oder wir mit ihr. – Stephan Breidenbach

Wir bei SPRIND glauben, dass unser Staat ein digitales Rückgrat statt einer unübersichtlichen Zahl von Insellösungen braucht, als resiliente und souveräne Grundlage einer modernen Gesellschaft. Rulemapping denkt Verwaltung und Gesetzgebung neu und schafft nicht nur eine digitale Grundlage, um Prozesse KI-gestützt zu automatisieren, sondern bietet eine echte Perspektive, den Staat insgesamt handlungsfähiger zu machen.

Rulemapping kann Verwaltungsabläufe radikal vereinfachen: Routineanträge lassen sich automatisiert bearbeiten, komplexe Vorgänge werden mithilfe von KI vorbereitet, und der Mensch behält stets den Überblick. Gleichzeitig wird Bürokratie transparent – jede Entscheidung ist im Code hinterlegt und nachvollziehbar. Genau darin liegt das Potenzial: Ein echter Paradigmenwechsel in der Art, wie Gesetze entstehen und umgesetzt werden, von dem Bürger:innen, Behörden und Unternehmen gleichermaßen profitieren. Die Rulemapping Methode ist weltweit einzigartig und kann sich zu einem Exportschlager entwickeln.

Wir beteiligen uns gemeinsam mit einem privaten Lead Investor im Rahmen einer Finanzierungsrunde in Höhe von insgesamt zwölf Millionen Euro Wachstumskapital an der Rulemapping Group. Parallel dazu tragen wir dazu bei, dass Rulemapping zu einem allgemein nutzbaren, internationalen Standard für Law as Code wird. Wir fördern die Weiterentwicklung der Technologie sowie Pilotprojekte in der öffentlichen Verwaltung und begleiten den Schritt in die Breite. Unser Ziel: dass Rulemapping sich als wesentlicher Baustein eines digital souveränen Staates in Deutschland und international etabliert.

Rulemaps dienen als zuverlässige Blaupause für Verwaltungsentscheidungen, vom Antrag bis zum Bescheid. Weil die Regeln in Computercode vorliegen, können viele Routineentscheidungen vollautomatisch ablaufen – beispielsweise bei Standardanträgen, Genehmigungen oder Berechnungen von Leistungen. Bürger:innen erhalten Bescheide deutlich schneller, denn Software kann einen komplexen Antrag in Sekunden prüfen. Gleichzeitig läuft alles streng nach den geltenden Gesetzen ab, nur eben viel effizienter. Die Nachvollziehbarkeit steigt ebenfalls: Jeder Entscheidungsschritt ist dokumentiert und kann bei Bedarf eingesehen werden. Das Ergebnis sind transparentere Abläufe, in denen jeder sehen kann, welche Regel zu welcher Entscheidung geführt hat.

Rulemapping schafft die Grundlage für den sinnvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Verwaltung. Denn wenn die rechtlichen Spielregeln als Code vorliegen, kann KI gezielt dort unterstützen, wo Daten unstrukturiert oder Entscheidungen komplex sind – ohne das System undurchschaubar zu machen. Sie arbeitet regelgeleitet und bleibt nachvollziehbar, denn sie folgt dem roten Faden eines digital abgebildeten Regelwerks. So verbindet Rulemapping die Stärken von Automatisierung und KI: Routinefälle werden automatisch erledigt, komplexe Fälle von der KI vorbereitet – und am Ende behält der Mensch die Kontrolle über den finalen Bescheid.

Gesetzgebung und Verwaltungsvorgänge als Code zu denken, verändert das Verwaltungshandeln grundlegend. Entscheidungen müssen nicht mehr manuell durch zig Akten und Paragrafen erkämpft werden, sondern laufen digital und einheitlich ab. Das beschleunigt nicht nur die Verfahren, sondern minimiert auch Fehler und Ermessensspielräume – jeder Fall wird nach dem gleichen, festgelegten Regelwerk behandelt. Gleichzeitig gewinnen Behördenmitarbeiter:innen Zeit für die wirklich kniffligen Fälle oder für den direkten Bürgerkontakt. All das stärkt letztlich auch das Vertrauen in staatliche Abläufe: Wenn Verwaltung schneller, transparenter und effizienter wird, erleben die Menschen den Staat als handlungsfähig und serviceorientiert.

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#95 Till Behnke (10.2.2025)
55:58

Wie schlau muss eine KI sein, die deutsche Bürokratie versteht? Lassen sich Verwaltungsentscheidungen automatisieren? Und was kann ein Gründer vom Rugby lernen? Unser Host Thomas Ramge spricht mit Till Behnke, Co-Gründer des Berliner GovTech-Startups Rulemapping und ehemaliger Rugby-Nationalspieler.

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