INNOVATION INNOVIEREN

Der Staat muss sparen - aber bitte nicht an der Zukunft.

WIE SICH (AUCH) IN DER INNOVATION MIT WENIGER MEHR ERREICHEN LÄSST, ERKLÄREN RAFAEL LAGUNA DE LA VERA UND THOMAS RAMGE:

Die Innovationsforschung kennt das Phänomen sehr gut aus Fallstudien von großen Unternehmen im Krisenmodus: Wenn die Budgets knapp werden, müssen die neuen Projekte als Erstes dran glauben. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Das Geld für künftige Produkte oder Dienstleistungen ist noch nicht fest eingeloggt. Es bestehen noch keine Pfadabhängigkeiten zum Geschäftsmodell. Kein Manager muss zugeben, dass er in alten Projekten Geld versenkt hat, solange er die Zahlen noch halbwegs schönrechnen kann. Das Neue verschwindet dann still und leise, zunächst aus der Unternehmensstrategie, dann aus der Budgetplanung. Direkt spüren es nur die Mitarbeitenden in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Eine Case-Study zu der Abwärtsspirale aus Sparzwängen, sinkender Innovation und Wettbewerbsfähigkeit lässt sich gerade im Live-Ticker beim US-Flugzeughersteller Boeing beobachten. Leider lassen sich auch die Parallelen zu Status quo, Innovationskraft und Zukunftsaussichten vom deutschen Staat und der deutschen Volkswirtschaft nicht übersehen.

Der Bundeshaushalt 2024 beträgt knapp 500 Milliarden Euro. Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs sind davon rund 90 Prozent fest verplant oder durch gesetzliche Leistungen blockiert. Die Haushälter können entsprechend nur bei einem Zehntel der Ausgaben den Rotstift ansetzen. Die Investitionen in Innovation sind hiervon leider in besonders hohem Maße betroffen.

In einer idealen Welt wäre Geld für die Erforschung und Entwicklung von Quantencomputern und Kernfusion, von antiviralen Breitbandwirkstoffen und Demenztherapien gar kein Thema, das groß diskutiert würde. Es wäre schlichtweg da. In Zeiten knapper Förderkassen müssen wir die staatliche Innovation selbst einem Innovationsprozess unterziehen. Das Zielbild liegt hier ebenfalls auf der Hand: mit weniger Geld mehr erreichen. Dies ist nicht nur nötig, es ist tatsächlich auch möglich. Nach fünf Jahren SPRIND sind wir überzeugt: Wenn deutsche Politik vier Stellhebel umlegt, steigt der gesellschaftliche Return on Innovation.

Bild Rafael Laguna de la Vera und Thomas Ramge

Vier Lernerfahrungen aus fünf Jahren SPRIND

  1. WETTBEWERB ALS FÖRDERPRINZIP

Überspitzt formuliert läuft Forschungsförderung heute in der Regel wie folgt ab: Kluge Forschende beantragen mit viel Aufwand Mittel aus einem großen Fördertopf. Setzen sie sich mit ihrem Antrag gegen die Konkurrenz aus anderen Forschenden durch, sind sie in der Regel erstmal für drei bis fünf Jahre ganz gut finanziert. Auch die Chancen, beim Anschlussantrag nochmals für einige Jahre Geld zu bekommen, stehen dann trotz diverser Evaluationsschleifen sehr gut. Die Konkurrenz geht derweil leider leer aus, denn der Steuerzahler soll ja keine Forschung doppelt und dreifach finanzieren.

In der Grundlagenforschung mag dieser Ansatz noch halbwegs funktionieren. Für die sogenannte Translation, also die anwendungsorienterte Forschung der technischen Disziplinen, ist er problematisch. Konkurrenz belebt auch hier das Geschäft. Die Erfahrung bei SPRIND, unter anderem bei unseren Entwicklungswettbewerben, den Funken und Challenges, zeigt: Wenn mehrere Teams parallel arbeiten, steigen das Tempo der Entwicklung und zugleich die Qualität der (Zwischen)-Ergebnisse. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass die Innovierenden nicht nur durch die anderen Teams unter Zeitdruck stehen – Zeit ist in der Innovation besonders viel Geld. Die Teams befruchten sich auch gegenseitig, weil Wissen von Team zu Team diffundiert. Der Modus der Coopetition, also der Verbindung aus Kooperation und Wettbewerb, belebt das Geschäft noch besser als die reine Konkurrenz.

Wichtig hierbei ist es, klare Erfolgskriterien zu definieren, die in vergleichsweise kurzen zeitlichen Intervallen erreicht werden müssen. Es gibt bei solchen Challenges nicht viel Geld für fünf Jahre für einen, sondern erstmal ausreichend Geld für ein Jahr für einige. Nur wer erste Erfolge nach den definierten Kriterien nachweisen kann, wird weiter finanziert, und zwar unbürokratisch und ausreichend für den Erfolgsbeweis im nächsten Entwicklungsschritt. Kein Mittelnachweis, keine Evaluation, nur Resultate müssen geliefert werden. Wettbewerbsorientierung und kürzere Förderintervalle ließen sich leicht auf einen großen Teil der staatlichen Innovationsförderung ausweiten. Eine Voraussetzung hierfür wäre: Die Fördernden müssten lernen, hier und da etwas loszulassen.

  1. KONTROLLE IST SCHLECHTER

Die staatliche Bürokratie ist durchdrungen von einem Geist des Misstrauens. Das ist kein schlechter Charakterzug der Bürokratinnen und Bürokraten, das ist im Wortsinn System. In seinem historischen Kontext machte das System auch Sinn. Der Mutter der modernen Verwaltung, die preußische Staatsbürokratie, gelang es im 19. Jahrhundert, wiederkehrende Abläufe zu standardisieren. Damit konnten diese nicht nur effizient durchgeführt werden, der gut organisierte Obrigkeitsstaat konnte auch endlich umfassend kontrollieren. Das war sehr innovativ. In der Forschungs- und Innovationsförderung hat aber leider die Dialektik des Fortschritts mit eiserner Faust zugeschlagen: Zu viel Kontrolle verhindert Innovation. Forschungsbürokraten müssen nach einem Regelwerk prüfen, das selbst jene kaum noch durchschauen, die es aufgesetzt haben. Sonst verstoßen sie gegen die Regeln, denen sie selbst unterliegen.

Das Irrsinnige an diesem Verfahren ist: Die Kontrolleure prüfen nicht die Ergebnisse der Projekte, sondern den Prozess. Wurde der Antrag nach allen Kriterien korrekt eingereicht? Wurden alle Mittel korrekt ausgegeben? Und die Prüfer der Prüfer prüfen sicherheitshalber nochmal, ob die Mittel nach allen Vergaberichtlinien überhaupt korrekt bewilligt wurden? Ob ein F&E-Projekt am Ende ein Ergebnis erbracht hat, gerät zur Fußnote im ganz formalen Wahnsinn.

Ein bisschen Kontrolle ist gut, Vertrauen ist Voraussetzung, Ergebnisse sind besser.

Auf diese Formel lassen sich die Erfahrungen mit den Nerds mit Mission bringen, mit denen wir bei der SPRIND seit fünf Jahren arbeiten. Es ist nicht die Aufgabe der Innovationsmanagerinnen und -manager, darüber zu wachen, ob sie beim Einkauf von Druckerpapier drei Angebote eingeholt haben. Sie müssen schauen, ob nach sechs oder zwölf Monaten Finanzierung ein vereinbarter Entwicklungsmeilenstein erreicht wurde und was das dann für Marktreife, weiteren Finanzierungsbedarf, Kooperationen mit mögliche Partner etc. bedeutet.

  1. KEINE BÖCKE ALS GÄRTNERBERATER

Jeder weiß es, keiner spricht es offen aus: Bei der Vergabe von staatlichen Forschungs- und Entwicklungsmitteln sind die Grenzen zwischen Beratung und Eigeninteressen fließend. Auch das ist in der Regel keine böse Absicht. Die politischen Entscheiderinnen und Entscheider holen sich Fachexpertise zu den großen Innovationsthemen natürlich von jenen ein, die vom Fach viel verstehen. Oft sind das aber genau jene, die dann die Mittel beantragen, wenn ihr Rat in der Politik Gehör fand und Mittel für ein bestimmtes Forschungsfeld in die Fördertöpfe eingespeist wurden. Wir alle, auch Forschende, halten das eigene Wirken und Tun nun mal für besonders wichtig. Im aktuellen Fördersystem empfehlen die Böcke den Gärtnern zu erfolgreich, welche Türen im Zaun sie öffnen sollen.

Kluge Köpfe und Institutionen mit Partikularinteressen müssen natürlich auch weiter in der Politik Gehör finden. Es braucht endlich eine Ebene der neutralen Fachberatung, die mit tiefer Kompetenz in tiefen Technologien politischen Entscheidern nicht nach eigenen Interessen Empfehlungen ausspricht, sondern die Wetten auf die Zukunft nach bestem Wissen und Gewissen auf Basis der Daten der Gegenwart platziert. Zum (neutralen) Beratungsauftrag muss dann auch die wichtigste alle Technologiefragen gehören: Welche technologischen Wetten will eine Gesellschaft mit welchem Ziel eingehen?

  1. MISSION POSSIBLE

Der Wiederaufbau einer europäischen Chipindustrie mithilfe von erheblichen Steuermitteln ist eine gut begründete Mission. Sie macht Europa resilient gegen Lieferkrisen. Sie erlaubt Forschenden Zugriff zu Wissen und Testumgebungen, mit denen Europa überhaupt erst wieder Anschluss an die Weltspitze des Chipdesigns und der Chipentwicklung finden kann. Ohne staatliche Ankerinvestitionen wird kein europäisches Start-up-Ökosystem rund um Chips und Rechner-Hardware entstehen. Nach nur wenigen Monaten sehen wir bereits, dass die Mission des EU-Chips-Act erste Früchte trägt und sehr schnell zu einer Investition werden kann, die sich volkswirtschaftlich rechnet. Was sind die Erfolgsfaktoren?

Das Ziel ist klar beschrieben. EU und Bundesregierung haben sich nicht im Förder-Klein-Klein verloren. Deutschland hat die globalen Größen der Chipindustrie wettbewerbsorientiert um Fördermittel konkurrieren lassen. Örtliche Verwaltung hat bei den nötigen Genehmigungsverfahren ungewöhnlich unbürokratisch agiert.

Auch wenn die Pläne für die Chip-Fabrik seitens Intel jetzt auf Eis gelegt wurden, so zeigt das Beispiel dennoch: Higtech-Missionen mit volkswirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gewinn sind möglich. Mit dem neuen Halbleiterwerk in Dresden – der taiwanesische Chiphersteller TSMC hat sich dafür mit den deutschen Konzernen Bosch und Infineon und der niederländischen NXP-Gruppe zu ESMC (European Semiconductor Manufacturing Company) zusammengeschlossen – wird die Liefersicherheit mit Halbleitern für die deutsche und europäische Industrie langfristig deutlich verbessert. Welche Missionen wir wann mit wie viel Geld angehen wollen, müssen am Ende natürlich Parlament und Politiker nach demokratischen Regeln entscheiden. Aber zuvor gilt es, die wichtigste Hausaufgabe zu machen: Die staatliche Innovationsförderung muss einen gründlichen Innovationsprozess durchlaufen. Knappe Kassen sind ein guter Anlass hierfür. Denn auch das wissen wir aus Fallstudien der Innovationsforschung: Oft ist ein Überfluss an Ressourcen für die Innovation gar nicht förderlich.

Not macht erfinderisch.

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