OFFENE TELEKOMMUNIKATION FÜR ALLE

Open Radio Systems will Mobilfunknetze demokratisieren

Die EU hat im Bereich von Mobilfunkinfrastruktur eine starke Position: Ericsson und Nokia gehören neben Huawei aus China zu den weltweit führenden Anbietern auf einem oligopolistischen Markt. Mobilfunktechnologie ist jedoch ständig im Wandel, vor allem wenn neue Technik ins Feld gebracht wird oder Bedürfnisse wie digitale Souveränität entstehen. Die nächste Generation von Mobilfunknetzen wird deutlich stärker softwarebasiert sein – die traditionell stark auf Hardware fokussierten europäischen Anbieter mobiler Infrastruktur sind für dieses Szenario jedoch nicht ausreichend aufgestellt. Gleichzeitig gibt es Wettbewerber in den USA und Asien, die ihr Handwerk gut verstehen und sehr stark im Bereich Software sind. Doch die Mobilfunkinfrastruktur muss auch kontrollierbar werden, denn Hardwarekomponenten aus Ländern, die starke geopolitische Eigeninteressen verfolgen, bergen zahlreiche Gefahren für Europa. Es ist also unerlässlich, dass Deutschland und Europa neue, eigene Lösungen finden.

Zu diesem Ergebnis kam auch die Bundesagentur für Sprunginnovationen im Jahr 2020. Sie schrieb kurz darauf ein Positionspapier zu 5G. Zunächst passierte: nicht viel. Doch mit der Einreichung von Stefan Valentin kam Bewegung in die Sache. Im Rahmen einer Validierung wurde ab Ende 2023 zunächst die grundsätzliche Machbarkeit und eine gemeinsame Vision entwickelt. Anfang 2025 hat Valentin mit seinem Team von Open Radio Systems dann einen Gründungszuschuss in Höhe von einer knappen Million Euro von SPRIND erhalten.

Stefan Valentin
Stefano Tomasin
Martin Kumm
Christian Freund

Wenn es nach Prof. Dr. Stefan Valentin, Prof. Dr. Stefano Tomasin, Prof. Dr. Martin Kumm und Christian Freund geht, ein Team mit geballter Erfahrung aus der Wissenschaft und der Mobilfunkindustrie, soll Telekommunikation und auch die Einführung kommender Mobilfunkstandards deutlich souveräner und sicherer laufen. Die vier Gründer möchten endlich weg von Hardware, denn die ist proprietär und bindet die Mobilfunkbetreiber an die Hersteller: Die Hersteller lassen sich nicht nur die Wartung und Ersatzteile gut bezahlen, sondern erschweren auch die Kombination mit der Hard- und Software anderer Hersteller. Und der Einsatz von quelloffener Software auf ihren Netzwerkelementen ist für die großen Hersteller sowieso nicht akzeptabel – obwohl dieser offene Ansatz die Transparenz, Souveränität und Sicherheit europäischer Mobilfunknetze stärken könnte.

Die Mobilfunkbetreiber sind also gefangen. Die mögliche Lösung? Die Softwareisierung der Mobilfunkinfrastruktur so weit wie möglich voranzutreiben: Funktechnik, also die drahtlose Übertragung von Informationen mittels elektromagnetischer Wellen, ist sehr komplex. Bislang gibt es vorwiegend proprietäre Systeme. Anwendungen sind wenig flexibel, erklärt Stefan Valentin, CTO von Open Radio Systems. Dadurch sind die Kunden sehr abhängig von ihren Anbietern. Bei neuen Mobilfunkstandards muss monatelang die Hardware umgebaut werden, es gibt keine Modularität. Wer dagegen mit Software arbeitet, muss diese nur umprogrammieren und spart nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld.

Open Radio Systems
Open Radio Systems

Das Team betrachtet sich als Möglichmacher für den Umbau der Mobilfunknetze auf Open Source-Software, denn sie stehen auf den Schultern mehrerer Open Source-Projekte, die es nun zu bündeln gilt. Wir ermöglichen ein hochperformantes System, das in der Lage ist, Funksignale für viele Antennen mit sehr hoher Effizienz zu berechnen und dabei programmierbar zu sein, schildert Martin Kumm. Das zweite Problem, das wir lösen, ist die Kapazität auf dem Front-Haul-Bus zu erhöhen, der die digitalen Signale zur Antenne bringt. Bisher war das der Showstopper bei Software-Defined Radios. Wir aber schalten digital mehrere Front-Haul-Busse zusammen und schaffen damit genug Kapazität für die hohe Antennenzahl und Bandbreite der kommenden 6G-Standards.

Das Ganze sei so schwierig, wie ein Gespräch in der Disco zu führen – die Qualität der Kommunikation kann schnell leiden. Doch die Gründer blicken optimistisch auf die nächsten Monate, zumal ein funktionsfähiger Prototyp bereits heute beweist, dass die Technologie funktioniert. Bis jetzt konzentrieren wir uns auf private 5G-Netze, auch Campusnetze genannt. Vor allem dieser Markt, zum Beispiel Firmen für Industrieautomatisierung oder Krankenhäuser, profitiert von Softwareisierung, weil dort maßgeschneiderte Lösungen gebraucht werden. Da können wir die volle Stärke unserer Software ausspielen, denn diese lässt sich leichter und schneller maßschneidern, als das mit Hardware je möglich wäre, berichtet Stefano Tomasin.

Wir verschieben die Grenze von Software und reduzieren Hardware auf das Nötigste.

Open Radio Systems
Open Radio Systems

Langfristig soll die Technologie dann für alle verfügbar sein und in die öffentliche Mobilfunkinfrastruktur einziehen. Allein könne das Unternehmen aus Darmstadt, das insgesamt 14 Mitarbeiter:innen aus der Informatik und Elektrotechnik zählt, den Markt noch nicht revolutionieren, aber: Wir sind der Moskito, der Dinosaurier wie Ericsson, Nokia und in erster Linie Huawei kitzelt und mit Open Source infiziert, lacht Stefan Valentin. Die Vorteile der Vision von Open Radio Systems liegen auf der Hand: Netze günstiger machen, quelloffene Lösungen in die weite Welt bringen, Sicherheit durch Offenheit, nachhaltige Investitionen durch Hardwareunabhängigkeit sowie Senkung der Eintrittsbarrieren für neue Player, zählt CEO Christian Freund auf, und vor allem: europäische Souveränität und die Demokratisierung der kritischen Infrastruktur Mobilfunk.

Mehr über Open Radio Systems: openradiosystems.com

Die Gründer von Open Radio Systems (v. l. n. r.): Stefano Tomasin, Martin Kumm, Stefan Valentin und Christian Freund
Die Gründer von Open Radio Systems (v. l. n. r.): Stefano Tomasin, Martin Kumm, Stefan Valentin und Christian Freund
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